Kriegsdienstverweigerung
Bundestag über Afghanistan-Einsatz getäuscht?
Prof. Paech nahm bei OFRI rechtliche Bewertung vor
Osnabrück - Würde der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als Krieg eingestuft, wäre die Bundeskanzlerin gesetzlich Oberbefehlshaberin, die Durchführung von Wahlen würde ausgesetzt, per Notstandsverfassung würden Grundrechte eingeschränkt, Festnahmen wären bis zu vier Tagen ohne gerichtlichen Beschluß möglich. Darauf wies Thomas Müller von der Osnabrücker Friedensinitiative (OFRI) zu Beginn einer rechtlichen Bewertung des Militäreinsatzes hin, die der Hamburger Professor Noman Paech vornahm.
Wenn tatsächlich am Hindukusch der Verteidigungsfall eingetreten sein sollte, hätten Bundestag und Bundesrat darüber befinden müssen, betonte der Jurist, der wegen der Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz die SPD verlassen und als Bundestagsabgeordneter die Außenpolitik der Linken vertreten hat. Erfahrungen sammelte er bei mehreren Aufenthalten in diesem Land, darunter kürzlich in Kundus, schon vor 1978 und drei Monate in einem Feldlazarett.
Zum Ausgangspunkt des Konfliktes wies Paech darauf hin, nicht Afghanistan hätten die USA angegriffen, vielmehr werde das Bin Laden vorgeworfen. Die USA rechtfertigten ihren Angriff damit, da Afghanistan Bin Laden Handlungsmöglichkeit im Land biete, müsse sich das Land gefallen lassen, so behandelt zu werden, als habe es selbst die Hochhäuser in New York zum Einsturz gebracht. Die von Afghanistan angebotene Auslieferung Bin Ladens hätten die USA nicht als ausreichend angesehen, stellte Paech fest.
Der NATO-Vertrag gebiete Beistandspflicht, wobei jedes Land in der Wahl seiner Mittel frei sei, erklärte der Jurist. Überhaupt handele es sich um die erstmalige Ausrufung des Bündnisfalles. Während es den USA bei der Operation Enduring Freedom (OEF) um Terrorbekämpfung gehe, handele es sich beim von den UN abgesegneten ISAF-Einsatz vor allem um die Aufrechterhaltung von Sicherheit. "Wer soll das aber unterscheiden, wenn die US-Soldaten heute ein OEF-Etikett an der Uniform tragen und morgen ISAF", fragte Paech.
Diese Frage werde sich verschärft stellen, wenn demnächst US-Soldaten im deutschen Verantwortungsbereich aufträten. "Wenn unter deutschem Kommando Antiterroreinsätze vorgenommen würden, wäre der Bundestag getäuscht worden", erläuterte Paech. Dann habe die Praxis das Grundgesetz überholt, die Abgrenzung von OEF und ISAF werde nur noch für die "Heimatfront" vorgenommen, kritisierte Paech. Ohnehin würden die deutschen Soldaten ihr Camp kaum noch verlassen, der Einsatz konzentriere sich zunehmend darauf, sich selbst zu schützen.
Auf die Frage nach dem Tanker-Bombardement berichtete Paech, Oberst Klein, den er persönlich kennengelernt habe, sei kein Rambo, vielmehr habe dieser unter dem Druck gehandelt, ein Exempel statuieren zu sollen. Die Tat verstoße gegen das Kriegsvölkerrecht, das die Tötung von Zivilisten verbiete und Verhältnismäßigkeit fordere. Zwar müsse bei einer Anklage die Staatsanwaltschaft eine Überprüfung vornehmen, jedoch werde es bei der Abhängigkeit vom Justizministerium wohl kaum zu einer Anklage kommen, zumal dann der ganze Einsatz in Frage gestellt würde. "Außerdem wird ein so schneidiger Verteidigungsminister bei seinen Jungs nicht in Mißkredit kommen wollen" so Paech.
Ähnliche Konflikte seien im Sudan absehbar anläßlich der Realisierung der beschlossenen Teilung in den nächsten Jahren sowie in Somalia ("wann kommt der Ruf") und im "Pulverfaß Nigeria". Der "Friedensstadt" Osnabrück stehe es gut an, sich mit den kommunalen Möglichkeiten gegen eine weitere Militarisierung der Außenpolitik einzumischen, hob Paech hervor, der vor Beginn seines Vortrages den Friedenssaal im Rathaus besuchte.