Balkan / Ex-Jugoslawien
Friedensdemo Berlin
Friedensdemo Berlin Brandenburger Tor 25.11.23
Normalerweise würde ich nicht auf einer Kundgebung sprechen. Als Journalist empfiehlt sich eine gewisse Zurückhaltung. Aber in diesen Zeiten käme mir Zurückhaltung so vor, als wolle man sich vor der Verantwortung drücken. Das ungenierte Kriegsgeschrei kann ich so nicht hinnehmen.
Und ich habe den Eindruck, dass sich die Mehrheit in unserer Gesellschaft – schon gar die schweigende – weniger Kriegsrhetorik wünscht und dafür mehr ernstzunehmende diplomatische Ansätze. Das ist das Kerngeschäft von Politik. Waffenlieferungen sind eher eine Bankrotterklärung derselben.
Es reicht nicht einen militärischen Plan zu haben. Ein politischer Plan ist das Entscheidende. Und der fehlt, sowohl mit Blick auf Russland und die Ukraine als auch mit Blick auf Israel und den Nahen Osten.
Es wird in Kategorien von Sieg und Niederlage gedacht und argumentiert. Es wird von wertegeleiteter Außenpolitik gesprochen, die offenbar kein Problem damit hat, die zivilen Opfer je nach Täter als Kriegsverbrechen oder Kollateralschaden zu verbuchen.
Mir geht die Heuchelei gehörig auf die Nerven und auch, immer Bekenntnisse abgeben zu sollen, bevor man zum Punkt kommt.
Natürlich ist der russische Angriff auf die Ukraine völkerrechtswidrig. Aber was folgt denn daraus? Rache, Vergeltung, wie Du mir so ich Dir? Kampf bis zum letzten Blutstropfen? Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss.
Dieser fatale Bekenntniszwang, der sowohl in der Politik als auch in den Medien üblich geworden ist, verhindert eine sachorientierte Auseinandersetzung über die besten Wege, wie wir da wieder rauskommen. Ein „Ja, aber…“ oder „Nein, obwohl…“ – das hat doch nichts mit Relativierung zu tun oder gar mit Rechtfertigung, sondern spricht dafür, dass derjenige zur Differenzierung fähig ist und sich nicht mit platten Gut-Böse-Schemata zufriedengibt, die der Realität im Übrigen selten standhalten. Weder in der Ukraine noch in Israel.
Eines der überzeugendsten „Ja, aber…“ stammt von Klaus von Dohnanyi, diesem besonnenen SPD-Politiker, der in den 80er Jahren Erster Bürgermeister in Hamburg war. Er hat sinngemäß gesagt: Ja, der Krieg, den die Russen angefangen haben, ist ein Verbrechen, aber dass der Westen ihn nicht verhindert hat, ist eine Sünde.
Es geht im Moment gar nicht darum, Schuldzuweisungen hin und her zu schieben – waren es die Entspannungspolitiker, die den russischen Überfall erst möglich gemacht haben, oder doch eher diejenigen, die den Entspannungspolitikern immer wieder Knüppel zwischen die Füße geschmissen haben – es geht jetzt darum, die Ausweitung von Kriegen zu verhindern bzw. laufende Kriege zu beenden.
Dass das nicht einfach ist, weiß ich auch. Aber es wird ja gar nicht erst versucht. Der politische Wille fehlt. Die politische Analyse sowieso. Stattdessen gibt’s Ideologie und Moral, und Gedankenspiele sogenannter Experten wie jetzt in der Zeit, in denen Horrorszenarien ausgebreitet werden, für den Fall, dass Russland nicht besiegt wird. Verantwortungslose Angstmacherei von Leuten, die behaupten, ganz genau zu wissen, was Putin will und denkt und die sich in einer grenzenlosen Arroganz hinstellen und einen Mentalitätswechsel in der deutschen Gesellschaft fordern.
Unsere Demokratie wird nicht in der Ukraine verteidigt, genauso wenig wie damals am Hindukusch. Das ist nur eine besonders hinterhältige Form, Kriegseinsätze zu rechtfertigen und moralischen Druck aufzubauen. Der Kampf um unsere Demokratie findet nicht im Ausland statt, sondern innerhalb unserer Landesgrenzen.
Und deshalb braucht es wieder so etwas wie eine Friedensbewegung. Die Menschen sollten sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, von den
Salon-Intellektuellen, die von Lumpen-Pazifisten reden und auch nicht davon,
als gefallene Engel bezeichnet zu werden.
Es gibt in der Geschichte genug Figuren, die bewiesen haben, dass Gewaltfreiheit, intelligentes Selberdenken und Mut sich dem entgegenzustellen, was man nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann,
dass das letztlich zu besseren Lösungen geführt hat als das Kriegsgeschrei von denjenigen, die sich stets auf der „moralisch richtigen“ Seite wähnen.
Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet in unserem Land die Hardliner und Scharfmacher so viel Gehör finden. Vielleicht liegt ein Grund darin, dass vielen von denen aufgrund ihres Alters oder besser gesagt ihrer Jugend die eigene Erfahrung fehlt, was Krieg bedeutet. Das ist keine aseptische Joystick Operation, die punktgenau militärische Ziele ohne Menschen trifft. Krieg – ganz gleich welcher – ist Barbarei. Krieg IST das Kriegsverbrechen.
Ich würde mir wünschen, dass junge Menschen, die mit ihrem Engagement im Kampf gegen den Klimawandel Gesellschaften weltweit aufgerüttelt haben, das Thema Frieden entdecken und sich dafür mit der gleichen Kraft einsetzen. Über die Meinungen, wie man das konkret am besten macht, darf und muss gestritten werden. Aber angstfrei und respektvoll und natürlich faktenbasiert. Denn Propaganda können sie alle, das ist kein Privileg Moskaus.
Ich weiß nicht, wer hier alles auf dem Platz steht. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige darunter sind, mit deren politischen Überzeugungen ich nicht einverstanden bin. Aber soll ich mich deswegen davon abhalten lassen, hier zu sprechen? Wie dumm wäre das denn?
Der Kabarettist Andreas Rebers hat mal gesagt: Wenn ich etwas Richtiges sage, was den falschen Leuten gefällt, dann wird das Richtige dadurch nicht automatisch falsch. – Menschen, die sich wehren, müssen mutiger werden. Mutig in dem Sinne, dass sie gegen all das argumentieren können, was in unserem demokratischen System nichts zu suchen hat.
Es wird Zeit, dass der Kampf um Frieden und politische Pläne – nicht militärtaktische – in die Mitte der Gesellschaft zurückkehrt und nicht an irgendwelche Ränder abgedrängt wird.
Was die Bürger der DDR damals geschafft haben, das sollten wir im vereinten Deutschland jetzt vielleicht doch auch hinkriegen: auf friedliche Weise den politisch Verantwortlichen klar machen, dass dieses Konfrontationsdenken in die Sackgasse führt. Das hatten wir doch alles schon mal. Und ich möchte mich nicht auf das Glück verlassen, das wir im Kalten Krieg hatten, das Glück, mit dem uns ein heißer Krieg erspart geblieben ist.
Den Druck von unten sollte man nicht geringschätzen. Michail Gorbatschow, DER Architekt von Entspannung und Abrüstung und der Mann, dem wir im Wesentlichen die deutsche Vereinigung zu verdanken haben – man vergisst diese Dinge so schnell – Michail Gorbatschow hat immer wieder die Rolle der Öffentlichkeit betont. Die Stimme der Friedensbewegung gegen Krieg und Atomwaffen war eine starke. Diese Stimme wurde gehört.
Und dann ist alles zu selbstverständlich geworden.
Das Brandenburger Tor ist ein guter Ort, sich der Verantwortung bewusst zu sein oder zu werden, die man als sogenannt mündiger Bürger in einem demokratisch verfassten Staat hat. Mündige Bürger sind nämlich systemrelevant. Sie müssen so gut wie möglich Bescheid wissen, sie müssen Stellung beziehen, also entscheiden, die Konsequenzen ihrer Entscheidung überblicken und dafür dann die Verantwortung übernehmen. Eigentlich simpel, aber irgendwie aus dem Blickfeld geraten.
Es ist an der Zeit, dass die schweigende Mehrheit sieht, wie wichtig es ist, sich zu Wort zu melden, sich nicht mundtot machen zu lassen und sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, was bislang bei uns selbstverständlich schien: Frieden.
Gedanken von Peter Wahl zur Friedensdemonstration am 25. November in Berlin
Unglaubliche Propaganda
(aus: UZ 1.12.23)
Peter Wahl
Peter Wahl hat in einer ersten Stellungnahme zur Friedensdemonstration am 25. November in Berlin einige Gedanken notiert, warum er sie als Erfolg einschätzt. UZ dokumentiert im Folgenden Auszüge daraus. Peter Wahl ist Mitbegründer von Attac und gehört der Initiative „Nein zum Krieg – Die Waffen nieder“ an, die die Demonstration organisiert hat.
Die Demonstration und Kundgebung in Berlin unter dem Motto „Nein zu Kriegen – Rüstungswahnsinn stoppen – Zukunft friedlich und gerecht gestalten“ war mit über 20.000 Teilnehmern ein großer Erfolg. Als jemand, der einige Großdemos in Leitungsfunktionen auf dem Buckel hat, weiß ich, wovon ich rede, wenn ich die Zahlen der Polizei als reinen Polit-Fake bezeichne. (…) Der Erfolg der Mobilisierung ist umso bemerkenswerter, als Friedensbewegung in diesen Zeiten nicht gerade unter günstigen Bedingungen agieren muss. Denn:
1. Mit dem Ukraine-Krieg versuchen der herrschende Block und seine ideologischen Apparate eine Renaissance von deutschem Militarismus und deutschem Großmachtstatus – beschönigend als „Zeitenwende“ bezeichnet – durchzusetzen. Sie wollen den deutschen Imperialismus 3.0. Auch wenn das, wie alle Umfragen belegen, nicht so recht funktioniert und in der Bevölkerung zumindest eine post-heroische Grundhaltung verbreitet ist, muss Friedenspolitik gegen unglaublichen propagandistischen Gegenwind ankämpfen.
2. Das geschieht in einer Situation, in der vor allem für jüngere Generationen das Thema Krieg – und sei sie auch nur durch die Eltern vermittelt – keine Rolle spielt. Verständlicherweise. Auch Kenntnisse über internationale Konflikte und Krieg, die von der Anti-Raketen-Bewegung der 1980er Jahre in die Öffentlichkeit getragen wurden, sind nicht mehr vorhanden. Wer unter 50 weiß, was „atomarer Winter“, was „strategisches Gleichgewicht, Eskalationsdominanz“ oder „Enthauptungsschlag“ bedeuten? Wer ist mit den Methoden von Feindbildproduktion vertraut, wie sie die im Kalten Krieg Sozialisierten erlebten? Sehr treffend daher der Vorschlag von Wagenknecht an „The last Generation“: „Klebt euch doch mal vor der Airbase Ramstein auf die Straße!“ Klima und Frieden gehören schließlich zusammen.
3. Die Entscheidung für den 25. November und der Aufruf dazu kamen vor dem Ausbruch des neuen NahostKriegs. Innenpolitisch hat dieser Krieg den Konformitätsdruck in Richtung Einheitsmeinung noch einmal um eine Größenordnung nach oben gedreht. Im Vergleich zur Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs erscheint das Etikett „Putin-Versteher“ inzwischen fast schon wieder harmlos. Der neue Krieg hat zusätzliche Spaltungslinien in der gesellschaftlichen Linken hervorgerufen. Derzeit wird auch „Fridays for Future“ mit einem haltlosen Antisemitismusvorwurf gegen Greta Thunberg fertiggemacht. (…)
4. Die vorgenannten Faktoren hinterlassen natürlich auch ihre Spuren in einigen Teilen der Friedensbewegung. Sie äußern sich in zum Teil heftigen Polemiken, an deren Spitze meist die Unterstellung von „Rechtsoffenheit“ steht. Hier dürfte aber der 25. November endgültig für Klarheit gesorgt haben. (…) Noch in einem anderen Punkt hat der 25. November für Klarheit gesorgt. Jene in der Friedensbewegung, die geglaubt hatten, mit der Befürwortung von Waffenlieferungen an Kiew und eines ukrainischen Siegs auf dem Schlachtfeld Menschen für Friedenspolitik gewinnen zu können, dürften jetzt gemerkt haben, dass man sich schon deutlicher von Baerbock und NATO abheben muss, um Gehör zu finden. (…)
Neben dem zahlenmäßigen Erfolg ist auch die politische Zusammensetzung der Demo interessant. Es dominierten die blauen Fahnen mit Friedenstauben und die Pace-Regenbogenfahnen, wie sie in lokalen Initiativen verbreitet sind, Das verweist auf eine Verankerung an der Basis. Außerdem gab es viele Fahnen und Transparente von ver.di, GEW und traditionellen Friedensorganisationen wie DFG/VK, VVN-BdA, DKP und anderen. Vereinzelt waren auch ein paar Jusos dabei. Da anders als noch bei der Anti-Raketen-Bewegung der 1980er Jahre heute keine gut geölten Organisationsapparate zur Verfügung stehen und auch der Initiatorenkreis nur ein Zusammenschluss von Einzelpersonen ist, kann die Bedeutung der lokalen Basis gar nicht hoch genug geschätzt werden.